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Glossar

Stummfilme / Musiker

Nanook of the North / Nanuk, der Eskimo

[Robert Flaherty, USA 1922]

Ein extremer, bildgewaltiger und doch einfacher Dokumentarfilm über die Eskimos im hohen Norden Kanadas. Robert Flaherty operiert an der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm: Einerseits wirken seine Bilder authentisch und dokumentieren den erbitterten Überlebenskampf der Inuit im ewigen Eis. Andererseits sind viele Szenen des Films reine Fiktion und romantisierende Verklärung.

Nanook steht im Duell mit dem ewigen Eis. Mit seiner Familie lebt er in einer unwirtlichen, dunklen und kargen Eislandschaft weitab von der Zivilisation. Nanook, der erfolgreichste Jäger seines Stammes, geht das ganze Jahr über auf die Jagd. Nur einmal im Sommer, wenn der Schnee schmilzt, hat er frei. Dann reist die Familie im Kajak zur Handelsstation, um die Jagdbeute gegen Messer und Werkzeuge einzutauschen. Schon bald aber geht es zurück in Schnee, Eis und Kälte.

Robert Flaherty reiste mehrmals zu den Inuit und sammelte zwischen 1914 und 1916 ganz unterschiedliches Material, das er später auf Vorträgen darbot. Auch einen Film wollte er drehen, doch das bereits belichtete Filmmaterial ging bei einem Brand verloren. Flaherty benötigte mehrere Jahre, um Geld für einen neuen Film aufzutreiben. Da keine Filmgesellschaft die Produktion übernehmen wollte, finanzierte eine New Yorker Pelzhandelsfirma den Film als eine Werbemaßnahme. 1920 brach Flaherty erneut nach Norden auf. In „Nanook of the North“ fungiert Flaherty als Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor, Cutter und Produzent. In der Folge drehte er weitere ethnographische Filme: in der Südsee „Moana“ (1926), an der irischen Westküste „Man of Aran“ (1934).

In „Nanuk, der Eskimo“ interessierte Flaherty sowohl die ethnographische Beobachtung als auch die Präsentation und optimale Vermarktung derselben. Er scheute sich nicht, nachgestellte Bilder als authentische auszugeben und den nicht-fiktionalen Stoff zu dramatisieren – sicherlich einer der Gründe, warum der Film international sehr erfolgreich in den Kinos lief und heute als erster langer Dokumentarfilm der Filmgeschichte gilt. Flahertys Bilder haben ein Eigenleben: In den langen Einstellungen des Films hat der Zuschauer genügend Zeit, sich den zahlreichen aufscheinenden Details zu widmen. Da Flaherty mehrere Monate unter den Inuit verbrachte, fließen seine Erfahrungen und Beobachtungen fast beiläufig in die Bilder ein. Auch führte Flaherty die fertigen Aufnahmen nach jedem Dreh den Inuit vor und musterte nicht gelungene Einstellungen aus.

Doch die Erzähltechniken des Hollywood-Kinos sind auch bei Flaherty präsent: Nanook ist ein Filmstar, ein Held, der sich nicht von seinen Vorbildern in der Traumfabrik unterscheidet. Seine Abenteuer sind es, die der Zuschauer begierig verfolgt und erlebt. Dramatische Spannungsbögen erzeugt Flaherty durch raffinierte und effektvoll inszenierte Parallelmontagen und ungewöhnlich pointierte Zwischentitel („Suspense begins“).

Flahertys ethnographische Filme sind romantisierende Filme. Die „fiktiven“ Inuit seiner Filme sind naiver, fröhlicher und beim Jagen geschickter als die realen. Die traditionelle Kleidung, die im Film zu sehen ist, trugen die Eskimos in Wirklichkeit schon lange nicht mehr. Auch jagten sie mittlerweile mit Gewehren und nicht mit Harpunen, wie der Film behauptet. Und technikfeindlich waren die Inuits schon gar nicht. Ganz im Gegenteil, sie sind es, die Flahertys Kamera reparieren und sein Filmmaterial entwickeln.

Flaherty gelingt ein außergewöhnlicher Film über den Herbert Ihering schreibt: „Ein erschütternd schlichter Film. […] Kein Vordrängen des Filmoperateurs. […] Nur das Leben Nanuks und seiner Familie bietet sich dar. Primitive Völker leben episch. Ein herrlicher, fast könnte man sagen: ein homerischer Film.“ (Berliner Börsen-Courier, 12.2.1924)

Jürgen Dittrich, 24.04.2005

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